Wenn man liest, dann ist es doch immer ein wenig so, als würde die Zeit stehen bleiben oder wäre zumindest eine andere. Genau so fühlt es sich für mich an, als wir uns um kurz vor sechs Uhr abends auf den Weg zur Biosphärenparkbahn Brunnach machen. Denn während all die anderen Wanderer gerade vom Berg herunterkommen, um in den Lärm des Alltags zurückzukehren, bringt uns unser BergErLesen Ticket zu einem abendlichen Abenteuer auf den Berg hinauf. Wir sind eine Gemeinschaft gegen die Zeit, bereit für Alfred Komarek und seine „Anstiftung zum Innehalten“.

Auf der Fahrt hinauf werden wir kulinarisch verwöhnt mit einem BergErLesen Genussmoment, der uns vor dem Einsteigen in die Bergbahn gereicht wird. Gondeln „deluxe“ inklusive Geschmack aus Kärnten. Ich genieße die regionale Köstlichkeit: Kürbiskernbrot mit Käse von der Kaslabn, Nüssen und Trauben.

Oben angekommen sind die Kärntner Nockberge in ein warmes Goldgelb gekleidet, und die Sonne scheint mir ins Gesicht. Ich nehme diese besonderen Momente der Abenddämmerung in mich auf, diese Zeit des Übergangs, in der die letzten wärmenden Strahlen und die sich langsam beruhigende Geruschkulisse der Nockberge ganz fern bereits den Sonnenuntergang und damit den Wechsel vom Tag zur Nacht ankündigen.

Die Zeit vom Ankommen am Berg bis zum Beginn der Lesung ist für jeden von uns hier oben ein kleiner „Zeit-Schatz“: Während die einen das wohl exklusivste Abendessen des heutigen Tages vor dem Panoramarestaurant nock/in genießen (mit gschmackigem Gröstl und fantastischem Apfelstrudel), plaudert ein Grüppchen Menschen ganz entspannt auf der langen nock/art Bank mit Blick ins Kirchheimer Tal hinunter. Andere wiederum suchen die Einsamkeit und spazieren am Grat der nunmehr menschenleeren Nocken entlang, die um diese Zeit nur von den hier oben weidenden Kühen besiedelt sind. Wie süße Honigtropfen verrinnen die Minuten auf der abendlichen Brunnachhöhe.

Vereint in der Vorfreude auf die bevorstehende Lesung, machen wir uns schließlich auf den Weg zum Stausee hinunter, wo sie in der Ferne bereits auf uns wartet: die wohl einzigartigste Lesebühne weit und breit. Egon Gruber, Künstler und Bildhauer aus Bad Kleinkirchheim, hat hier mit viel Gespür für diesen besonderen Ort am Berg und noch mehr Liebe zum Detail ein wahrhaftes Kleinod geschaffen. Mit kindlich leuchtenden Augen bleiben wir alle vor dem Kunstwerk stehen und betrachten es in all seinen Einzelheiten. Auch der liebevoll gestaltete Publikumsbereich fügt sich stimmig in die Literaturkulisse in luftiger Höhe ein. Baumstümpfe mit bequemer Sitzauflage, die lange nock/art Bank, harmonisch geschwungene Holzliegen und fröhliche grüne Sitzsäcke laden uns dazu ein, uns unserer ganz persönliches Wohlfühlplatzerl zu suchen.

Und dann beginnt sie, die Lesung am Berg. Wenn man Alfred Komareks Stimme lauscht, seinem pointiert vorgetragenen Text und dabei die atemberaubende Kulisse der Nockberge auf sich wirken lässt, dann ist das ein fast meditatives Erlebnis. Die Natur öffnet sozusagen das Gemüt und beflügelt die Gedanken. Es scheint so, als würde auf 1 902 m Höhe das gesprochene Wort noch etwas mehr im Herzen nachklingen, als würden das Ziehen der Wolken, das Rauschen des Windes, die Farbenpracht der sanften Nocken im abendlichen Sonnenlicht und die Abgeschiedenheit am Berg dem Text noch mehr Tiefe geben, als würde sich in Alfred Komareks „Anstiftung zum Innehalten“ auf diese Weise eine weitere Ebene eröffnen. Literatur am Berg – eine perfekte Symbiose!

Langsam geht die Sonne unter, und die Lesung findet ihr Ende. Für einige Augenblicke ist es ganz still am Berg – ganz so, als müsste jeder von uns das Gehörte und Erlebte erst einmal verarbeiten. Wie gut, dass mir der Spaziergang zurück zur Bergstation noch einige Momente der Einkehr schenkt. Ich brauche Zeit, um wieder in die Zivilisation zurückzukehren. Langsam (fast behutsam, könnte man meinen) bringt uns die Bergbahn wieder zurück ins Tal. Im Dunkeln verabschieden wir uns schließlich voneinander und nehmen einen Schatz voller Erinnerungen vom Berg mit … und die Vorfreude auf das nächste BergErLesen.